...In diesem Augenblick hatte ich alles um mich herum vergessen.
Seine dunkelbraunen Augen, sein Lächeln hatten mich vollkommen
gefesselt. Doch schon im nächsten Moment holte mich meine Realität
ein. Er konnte gar nicht mich meinen! Wie konnte ich das bloß
vergessen! Ich bin doch schon tot! Das hier ist meine Beerdigung,
verdammt. Ich stand hier tatsächlich auf meiner eigenen
Beerdigungsfeier und hatte bis eben noch wie ein Volldepp,
vollkommen abwesend einen Jungen angestarrt, der mich weder
Warum
nur musste ich tot sein!? Warum hatte ich ihn nicht schon
früher getroffen? Dann hätte ich wenigstens herausfinden können,
wer er überhaupt ist, mit ihm reden und mich wenigstens mit ihm
anfreunden können. Und dann vielleicht,
hätte nach einiger Zeit mehr daraus werden können. So viele
Möglichkeiten. Alle dahin. Wäre ich doch bloß nicht gestorben.
Ich fing an zu heulen wie verrückt, schaute nur den Bruchteil einer
Sekunde nochmal, mit meiner verschwommenen Sicht, in Richtung des
Jungen und hatte kurz das Gefühl, ihn besorgt schauend zu sehen,
drehte mich um und fing an zu rennen. Weg von der Beerdigung,
weg vom Friedhof, weg von diesem unerträglichen Gefühl.
Nach der Beerdigung kamen alle Gäste auf die Trauerfeier zu uns
nach Hause. Ich lag mal wieder auf meinem Bett. Wo auch sonst?
Ich wollte niemanden mehr sehen oder hören. Je mehr Personen um
mich herum standen, desto verzweifelter wurde ich. Das Gefühl der
Einsamkeit war jetzt noch stärker als je zuvor, denn das Einzige an was
ich denken konnte war Er! Es war eine ausweglose Situation.
Ich war tot und konnte dies nicht wieder rückgängig machen. Punkt.
Ich sollte aufhören zu träumen und zu überlegen, was hätte sein können.
Ich musste der Realität ins Auge sehen. An meinem jetzigen Zustand
würde sich nie etwas ändern. Ich würde einsam und allein bleiben und
zwar nicht bloß bis an mein Lebensende, sondern noch viel schlimmer,
auf Immer und Ewig. Mein Lebensende hatte ich ja schon bereits hinter
mir. Ich konnte es nicht unterdrücken, meine Augen fingen an zu
brennen und ich weinte wieder. Ich wollte das alles hier nicht mehr.
Wo waren all die anderen toten Seelen. Ich war doch verdammtnochmal
nicht die Einzige die tot ist. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Überraschend klopfte es leicht an meiner Tür, obwohl sie ein Spalt breit
offen war. Ich konnte meinen eigenen Augen nicht trauen, denn die Person
die hereinkam, war der Junge von meiner Beerdigung.
Langsam setzte ich mich in meinem Bett auf und noch bevor ich dazu kam
mich zu fragen, was er in meinem Zimmer wohl wollte, sagt er, mir in die
Augen schauend, mit verlegener, zögernder Stimme:
"Entschuldigung, ich hoffe ich störe dich nicht, . . .
. . .um ehrlich zu sein hätte ich nicht gedacht, dass ich dich bei der Anzahl
an Gästen überhaupt noch finde, aber naja . . . du sahst so schrecklich
traurig aus auf dem Friedhof, während der Beerdigung, da . . . gingst du mir
irgendwie nicht mehr aus dem Kopf."
Vollkommen
überwältigt von meinem Gefühlschaos in diesem Augenblick,
drehte
ich mich vollkommen verwirrt kurz um, um hundertprozentig
sicher
zu gehen, das auch Niemand hinter mir saß. Doch ich war
vollkommen
allein im Zimmer, mit Ausnahme von ihm.
Ich
saß bewegungslos auf meinem Bett und starrte ihn ungläubig an.
In
den vergangenen Tagen hatte ich mich langsam daran gewöhnt
alleine
zu sein, und ignoriert zu werden, unsichtbar
zu sein. Und hier saß
ich
nun auf meinem Bett und war nicht im Stande, zu der einzigen Person
die
mich, wir mir schien, sehen konnte auch nur ein einziges Wort
herauszubringen.
Mein Herz begann zu stolpern, als er besorgt fragte:
"Geht
es dir gut? . . .
Soll
ich wieder gehen?"
Seine
Augen sahen leicht erschrocken aus, als er vermutete er würde
stören.
Hektisch suchte ich nach einer Antwort in meinem Kopf. Er dachte
sicherlich
schon, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank. Ich bekam es
jedoch
wenigstens hin, oder sollte ich besser sagen lediglich, ein leises
"Nein"
zu stammeln.
"Ist
das die Antwort auf die erste Frage, oder die zweite?"
Seine
Lippen formten ein kleines unwiderstehliches Lächeln und
unwillkürlich
lächelte
ich auch ein wenig.
"Beide"
antwortete ich schnellstmöglich.
Amüsiert
fragte er dann:
"Kannst
du auch mehr als bloß ein Wort von dir geben? "
doch
er wartet
auf keine Antwort sondern kam langsam näher und
setzte
sich wie selbstverständlich neben mich, aufs Bett. Ich
versuchte
meine
Gedanken zu sortieren, mit nur mäßigem Erfolg und fragte ihn
absolut
verwundert und ohne nachzudenken, einfach gerade heraus:
"
Wie kommt es, dass du mich sehen kannst? "
Er
fing an mich skeptisch anzusehen.
"Ehm
. . . , was meinst du genau?"
Plötzlich
schaute eine Person mit suchendem Blick in mein Zimmer und blieb
mit
den Augen an dem Jungen neben mir haften.
"Elias!
. . . hier bist du!
Was
machst du denn hier ganz allein?!"
Sie
machte einige Schritte in mein Zimmer. Die
Frau sah schon etwas älter aus
und
hatte braunes, mittellanges Haar und rot geschminkte
Lippen. Vielleicht
seine
Mutter? Elias drehte sich mit erschrockenem und verblüfftem
Gesichtsausdruck zu
mir. Die Frau nahm ihn sanft am Arm.
"Man
schnüffelt doch bei einer Trauerfeier nicht im Zimmer der
Verstorbenen
herum.
Komm wir fahren nach Hause, es ist schon spät."
Er
folgte der Frau, die ihn immer noch am Arm hielt, seinen Blick jedoch
keine
Sekunde
von mir abwendend. Er sah nicht mehr erschrocken aus, sondern
eher
fasziniert, hatte ich den Eindruck. Als beide den Raum verlassen
hatten,
war
ich wieder allein. Ich
holte tief Luft und konnte es immer noch nicht
glauben,
was da eben passiert war. Elias konnte mich sehen. Er konnte
mich
tatsächlich sehen. Er, die einzige Ausnahme unter allen die ich
bisher,
nach
meinem Tod, getroffen hatte. Und er hatte gesagt, dass er mich nicht
aus
dem Kopf bekommen konnte und sich Sorgen machte!? Ich stand von
meinem
Bett auf und ging in Richtung Küche. Meine Eltern verabschiedeten
gerade
die letzten Gäste. Der Küchentisch war noch vollgepackt mit Essen
und
benutztem Geschirr und auf der Küchentheke lagen Beileidsgrußkarten
und
einige Präsente. Elias war bereits weg. Dann als die Küche
schließlich
leer
war, bis auf meine Eltern und mich, sagte meine Mutter gerührt
"Das
war eine schöne Abschiedsfeier"
Mein
Vater nickte bloß mit einem kleinen Lächeln und ein wenig feucht
glänzenden
Augen, ging auf meine Mutter zu und umarmt sie sanft.
Obwohl
Elias schon weg war, fühlte ich mich erleichtert und irgendwie
glücklich,
denn ich war nicht mehr vollkommen allein. Irgendwie würde ich
ihn
schon wiedersehen. Da
war ich mir sicher. ...
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